KODEX FÜR DEN EINSATZ NEUER TECHNOLOGIEN AUF DEM GEBIET DES
KONFERENZDOLMETSCHENS
EINLEITUNG
Um
seiner Rolle als Sprachvermittler in einem mehrsprachigen Umfeld voll gerecht
werden zu können, hat der Konferenzdolmetscher gleichzeitig mehrere komplexe
Aufgaben zu bewältigen. Er muß
·
dem
Redner zuhören, dessen nonverbale Kommunikationszeichen sowie die von den Empfängern
der Mitteilung und zwischen diesen gezeigten Reaktionen erfassen;
·
eine
flüchtige und lebhafte Äußerung in ihrer Gesamtheit analysieren (Gesagtes und
Nichtgesagtes);
·
die
Mitteilung in eine andere Sprache übertragen und dabei von der Form und von der
Sache her die spezifischen Merkmale eines anderen Kulturkreises respektieren;
·
mit
seiner Zuhörerschaft über Blicke und Gestik Kontakt aufnehmen, um sich zu
vergewissern, daß die Mitteilung verstanden wurde.
Hierzu
ist es unverzichtbar, daß der Dolmetscher einen direkten Blick auf das
Gesamtgeschehen hat, in dem die zu dolmetschenden Aussagen vorgebracht werden.
Die
neuen Technologien eröffnen Horizonte, die von den Konferenzdolmetschern grundsätzlich
begrüßt werden. So bietet die Informationsgesellschaft dem Dolmetscher eine größere
Auswahl an Informationsquellen, auf die er zur Vorbereitung von Sitzungen zurückgreifen
kann. Auch die technischen und ergonomischen Verbesserungen der Dolmetschkabinen
und der Rednerpulte stellen einen beträchtlichen Fortschritt dar.
Weitere
Neuentwicklungen, insbesondere im Bereich der Telekonferenzen, bedürfen jedoch
einer differenzierteren Haltung. So ist eine korrekte Bewertung des
Kosten-Nutzen-Verhältnisses und des im Bereich der mehrsprachigen Kommunikation
geschöpften qualitativen Mehrwerts unter Berücksichtigung der damit
verbundenen Nachteile erforderlich (kumulierte Auswirkung mehrerer Phänomene:
der nonverbale Inhalt von Mitteilungen ist nicht erfaßbar; verbale und
nonverbale Äußerungen der anderen Teilnehmer gegenüber dem Redner und der
Teilnehmer untereinander können nicht verstanden werden; Bildschirmflimmern; es
ist nicht möglich zu ermitteln, wie die Verdolmetschung beim Empfänger ankommt;
Gefühl der Entfremdung, kein Tageslicht usw.).
Da
es sich hierbei um Instrumente handelt, die einem Ziel, nämlich der
vielsprachigen Kommunikation dienen, ist es nicht wünschenswert, daß die neuen
Technologien zu einer Verschlechterung der Qualität der erbrachten Leistungen
oder der Bedingungen führen, unter denen der Beruf des Konferenzdolmetschers
ausgeübt wird.
Aus
den vorgenannten Gründen haben die Konferenzdolmetscher
des
AIIC (Internationaler Verband der Konferenzdolmetscher),
des
ASTTI (Schweizerischer Übersetzer-, Terminologen- und
Dolmetscher-Verband)
des
BDÜ (Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer),
des
Europäischen Gerichtshofs,
der
OMD (Weltzollorganisation)
des
Europäischen Parlaments,
des
SCIC (Gemeinsamer Dolmetsch- und Konferenzdienst für die Europäische
Kommission, den Ministerrat, den Wirtschafts- und Sozialausschuß, den Ausschuß
der Regionen, die Europäische Investitionsbank und die Sonderorganisationen der
Europäischen Union) den vorliegenden Kodex angenommen
K O D E X
1.
Auf allen mehrsprachigen Konferenzen, bei denen neue Technologien zur Durchführung
von Telekonferenzen über das Kabelnetz, andere Netze, Internet
usw. eingesetzt werden, sind die Dolmetscher vorab zu befragen, ob das
Vorhaben durchführbar ist, und von Anfang an in die Vorbereitung der Sitzung
zur Ausarbeitung der praktischen Modalitäten mit einzubeziehen. Die
Bedingungen müssen auf jeden Fall zumindest den Normen ISO 2603, ISO4043 und
CEI914 entsprechen.
2.
Für die Dolmetscher stellt der direkte Blick in den Sitzungssaal
eine der Grundregeln der Norm ISO 2603 dar. Wenn sie eine Aussprache auf dem
Bildschirm verfolgen, so entgeht ihnen selbst bei guter Bild- und Tonqualität
der zur Erfüllung ihrer Aufgabe unverzichtbare nonverbale Kontext. Die
kritische Haltung der Dolmetscher gegenüber Videokonferenzen läßt
sich durch die Bedeutung erklären, die sie diesem Grundsatz sowie dem Schutz
der Gesundheit und der Wahrung der Qualität beimessen. Eine Abweichung von
diesen Grundsätzen setzt voraus, daß:
·
sämtliche anderen Grundsätze der vorgenannten Normen bedingungslos
eingehalten werden. Dies gilt insbesondere für die Tonqualität (getreue Übertragung
des Frequenzbandes zwischen 125 et 12500 Hz). Hierdurch wären alle
Videokonferenzen auf der Grundlage der Normen H320, die die Bandbreite im ISDN,
LAN, Internet usw. auf 7500Hz begrenzen, ausgeschlossen.
·
die Dolmetscher über Bilder mit hoher Auflösung und synchronisiertem Ton
in einer Qualität verfügen, die es ermöglichen, Gesichtsausdruck und Gestik
der Gesprächsteilnehmer gut zu erkennen.
In
Anbetracht der mit einer Videokonferenz verbundenen Belastungen (Verlust der
nonverbalen Information, durch den Bildschirm bedingte Ermüdungserscheinungen,
Fehlen von Tageslicht, höhere Konzentrationsanforderungen und
Stresserscheinungen usw.), ist die Gesamtdauer der Dolmetschertätigkeit pro
Tag auf 2 Stunden zu begrenzen.
Der
zweckfremde Einsatz bestimmter Technologien, bei denen Dolmetscher
beispielsweise über Bildschirm oder Leinwand aus der Ferne die
Verdolmetschung für Sitzungen erbringen, bei der sich sämtliche Teilnehmer
am gleichen Ort befinden (Ferndolmetschen), ist inakzeptabel.
1.
Bei allen Formen von Multimedia-Sitzungen ist darauf zu achten, daß
die Dolmetscher Zugang zu den gleichen Informationen wie die
Sitzungsteilnehmer haben. Dies bedingt, daß beim Bau neuer Konferenzräume
oder deren Modernisierung die Dolmetschkabinen mit den erforderlichen Anschlüssen
ausgestattet werden.
Technischer
Anhang: Geltende Begriffsbestimmungen und Normen (Verweise und Kurzbeschreibung)
BEGRIFFSBESTIMMUNGEN
Telekonferenz-
alle Formen der Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Teilnehmern, die sich
an zwei oder mehreren Orten befinden, zwischen denen ein oder mehrere Tonsignale
übertragen werden.
Videokonferenz
- Telekonferenz unter Verwendung eines oder mehrerer Videosignale zur Übertragung
der Bilder aller oder bestimmter Teilnehmer.
Mehrsprachige
Videokonferenz - Videokonferenz in zwei oder mehreren Sprachen mit
Verdolmetschung (konsekutiv oder simultan).
Ferndolmetschen
-
Verdolmetschung einer mehrsprachigen Videokonferenz durch Dolmetscher, die weder
einen direkten Blick auf den Redner noch auf ihre Zuhörerschaft haben.
GELTENDE NORMEN : Verweise und Kurzbeschreibung
1.
ISO-Normen für Simultandolmetschanlagen
Norm ISO/DIS 2603 (überarbeitete Norm ISO 2603 für feste
Simultandolmetschkabinen und Norm ISO/DIS 4043 (überarbeitete Norm ISO 4043) für
mobile Kabinen.
Diese Normen beschreiben sämtliche von Konferenzräumen zu erfüllenden
materiellen Voraussetzungen (Dolmetschkabinen und -anlagen). Sie sehen vor, daß
der Dolmetscher einen direkten Blick auf den Raum sowie ggf. die Leinwand haben
muß. Für die in den Kopfhörern der Dolmetscher empfangene Tonqualität ist
ausdrücklich die getreue Wiedergabe des Frequenzbandes 125-12500 Hz festgelegt.
2. Normen für die Digitalisierung und Kompression der
Ton- und Bildsignale[FR2]
Die Digitalisierung erfolgt über die zeitliche Abtastung des (analogen)
Ton- oder Bildsignals. So wird beispielsweise das Tonsignal bei der
Digitalisierung eines Telefongesprächs 8000 mal pro Sekunde abgetastet und jede
Abtastung wird auf 8 Bits kodiert, wodurch sich eine Bitrate von 64000 Bits pro
Sekunde bzw. 64 Kbps ergibt. Die Bandbreite ist jedoch auf 3,4 kHz beschränkt.
Zum Vergleich wird das Tonsignal eines CD-Spieler derzeit 44100 mal pro Sekunde
abgetastet, was einer Bandbreite von 0-20 kHz entspricht, und auf 16 Bits
kodiert, wodurch eine Bitrate von ca. 711 Kbps vor der Kompression entsteht.
Die Norm ITU-R 601 (”Studio-Quality TV”) wird bei der digitalen Übertragung
von Fernsehbildern zugrunde gelegt. Die drei Komponenten des Bildsignals: R
(rot), B (blau) und G (grün) werden zunächst in ein Lichtsignal Y (= R + B +G)
und zwei Farbdifferenzsignale umgesetzt : R-Y und B-Y. Für jedes Bild (oder ”frame”)
mit 486 Zeilen im NTSC-System und 576 im PAL/SECAM-System, erfolgen 720
Abtastungen des Lichtsignals, jedoch nur die Hälfte der Abtastungen (360) für
das Farbdifferenzsignal, wobei jede Abtastung auf 8 Bits kodiert ist. Die
hieraus resultierende Bitrate entspricht ca. 165 Mbps (1 Mbps = 1000 Kbps) vor
der Kompression.
Vor ihrer Übertragung über Digitalnetze müssen die Ton- und Bildsignale
digitalisiert und anschließend komprimiert werden, um den sehr hohen Durchsatz
der zu übertragenden Daten zu verringern. Die Kompression wird mit Hilfe eines
CODEC (COder - DEcoder) vorgenommen.
Die digitalen Übertragungssysteme haben unterschiedliche Übertragungsgeschwindigkeiten
(einschließlich der Kodierungs-/Dekodierungsdauer) für Bild- bzw. Tonsignale.
Daraus ergibt sich eine fließende zeitliche Verschiebung zwischen Bild und Ton,
die sich auf die Synchronisierung auswirkt.
3.
ISO-MPEG-Normen
MPEG (Moving Picture Experts Group) ist die Bezeichnung für eine
internationale Normenfamilie, mit der Ton- und Bilddaten in ein komprimiertes
Digitalformat kodiert werden. Die MPEG-Normenfamilie besteht aus den Normen
MPEG-1, MPEG-2 und MPEG-4, die als ISO-Normen ISO/IEC-11172, ISO/IEC-13818 und
ISO/IEC-14496 geführt werden.
Die Norm MPEG-2 (IS0-13818) wird generell für die digitale Übertragung von
Fernsehbildern verwendet. Für eine Bildübertragung nach der Norm ITU-R 601 wären
ca. 4, bzw. 25 bis 34 Mbps für HDTV-Bilder (1920x1080 Pixel und 60 Bilder/Sekunde)
erforderlich.
Die
Normen MPEG-Audio Layer 1,2 und 3 werden entsprechend ihrer zunehmenden
Komplexität und Leistung für Tonübertragungen verwendet.
4.
Normen 320.x der Internationalen Fernmeldeunion
Diese Normenfamilie wird bei Videokonferenzen für die Übertragung von Ton-
und Bildsignalen über normale Telefonleitungen (H324), ISDN/ATM
(H320-H321-H310) oder das lokale Netz (H322) zugrunde gelegt .
H.320
beruht auf dem Kompressionsalgorithmus für Bildsignale H.261 für zwei Auflösungstypen:
CIF (Common Interchange Format):
Lichtsignal: 352 Abtastungen pro Zeile, 288 Zeilen pro Bild
Farbsignal:176 Abtastungen pro Zeile, 144 Zeilen pro Bild
QCIF (Quarter Common Interchange Format)
Lichtsignal: 176 Abtastungen pro Zeile, 144 Zeilen pro Bild
Farbe: 88 Abtastungen pro Zeile, 72 Zeilen pro Bild
Die
Normen H.320 ermöglichen einen Bilddurchsatz von maximal 30 Bildern/Sekunde.
Die
Familie H.320 besteht aus drei Tonsignalnormen für folgende Codecs:
·
G.711,
mit einer Bitrate von 64 Kbps. Sie bietet eine Tonqualität von 3 kHz,
vergleichbar mit Telefonqualität;
·
G.722,
mit einem Algorithmus besserer Qualität. Sie erreicht 7.5 kHz mit einer Bitrate
von 64 Kbps;
·
G.728
bietet eine dem Telefon vergleichbare Tonqualität (3.4 kHz) bei lediglich 16
Kbps.
H.310 und H.321 passen die Familie H.320 an neue Übertragungsprotokolle wie
ATM und Breitband-ISDN an. H.310 verwendet beispielsweise den
Bildkompressionsalgorithmus ISO MPEG-2, mit dem sich eine hochauflösende
Bildqualtität erzielen läßt.
Die
ITU hat eine Reihe von Empfehlungen T.120 ausgearbeitet, mit denen die für
Videokonferenzen anwendbaren Normen H.32x für den Dokumentenaustausch definiert
werden.